Ein dunkler Gang. Wir betreten WaVid-20, so heißt das Raumschiff, das uns auf eine Entdeckungsreise in das Weltall schickt. Alle stellen sich zu einem leuchtenden Punkt am Boden und schon beginnt der Bildschirm zu sprechen, aber nicht um uns auf die Zahlung der GIS-Gebühren aufmerksam zu machen, nein, dies ist der Anfang einer Weltraum Odyssee. Es geht los, Sightseeing zu verschiedenen Planeten, über die wir auch gleich mit spannenden Fakten versorgt werden. Doch plötzlich stürzt das System ab und wir müssen auf einem fremden, unbekannten Planeten notlanden. Während der Reparaturarbeiten werden wir, die Crew, auf eine Erkundungstour auf den Planeten geschickt, was uns erwartet ist ungewiss. Zum Schutz vor den möglicherweise gefährlichen Bedingungen legen wir einen Schutzanzug an. Eine Schutzjacke (ein Regenponcho), Kopfhörer und ein Helm (ein Sackerl). Beim Anziehen der Schutzbekleidung erfolgt eine Individualisierung, ein Rückzug in uns selbst, die Stimme, die wir vorher alle von der gleichen Tonquelle gehört haben, hören wir nun alle aus unseren eigenen Kopfhörern und das „Visier“ unseres „Helms“ beschränkt das Sichtfeld auf ein Rechteck, fast wie ein persönlicher kleiner Bildschirm. Wir steigen aus unserem Raumschiff aus und alles fühlt sich an wie in Zeitlupe und fremd. Ganz unsicher bewegen wir uns auf diesem „unbekannten“ Planeten. Doch zum Glück haben wir eine künstliche Intelligenz in den Ohren, die uns unser Umfeld erklärt. Auf einer Tafel steht „Aloha“ geschrieben. Wir befinden uns also auf der Insel Hawaii. Und so bewegen wir uns weiter auf diesem Planeten und beobachten und werden beobachtet und ziehen daraus Schlüsse über die örtlichen Gegebenheiten. Das Ziel: Anpassung. Was uns am Ende leider etwas zu gut gelingt….
Besonders begeistert hat mich, wie die Zuschauerinnen und Zuschauer sich hier innerhalb der Szene bewegen, die in der realen und vertrauten Umgebung stattfindet. Das Stück findet in der „echten Welt“ und nicht im abstrakten Theaterraum statt und stellt sich so eben dieser Grenzziehung zwischen Alltag und Kunst. Die Stadt wird zum Objekt, aber wiederum auch wir selbst, die „Crew“, wurden für die Passantinnen und Passanten zum Objekt und vielleicht sogar zu Kunst. So waren wir als Gruppe doch sehr auffallend, was mir persönlich sehr viel Freude und Belustigung bereitet hat. Ich habe ein starkes Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl verspürt. Wir hatten alle dieselbe Bekleidung und den ähnlichen Habitus, Gedanken und Impulse. So haben wir uns durch die Stadt bewegt, waren im Museumsquartier, beim Spar, in der TU und in der U-Bahn und sind vielen Figuren
begegnet, wie einer als Elch verkleidete Person, einem Sportler im 80er Look, einem Mann im Anzug mit Klopapier, einer Chemikerin oder dem Stimmungsinstitut, das Passanten nach ihrer Stimmung befragt. Spannend war auch da, wie die Grenze zwischen Kunst und Alltag verschwommen ist, weil ich mir bei vielen dieser Momente im ersten Augenblick nicht sicher war, ob sie jetzt inszeniert sind oder wirklich passieren.
Dieses Gefühl, auf die eigene Welt plötzlich mit anderen Augen zu blicken, ist in diesen Zeiten ein durchaus bekanntes Gefühl, ein Déjavue. Dementsprechend finde ich WaVid-20 sehr zeitgenössisch, originell, kreativ und – Dank all der Schutzbekleidung – coronavirustechnisch gänzlich unbedenklich. Für mich war das das erste Theaterstück, das ich seit dem Lockdown sehen durfte und es hat mir gezeigt, wie Theater trotz Verbote und Beschränkungen funktionieren kann, und wie gerade daraus sogar eine Kreativität und etwas Neues entstehen kann. So ist Theater keine statische Gegebenheit, sondern ein dynamisches Moment, dass sich als Teil einer Gesellschaft in derselbigen mitbewegt und sich mit ihr verändert.
Ich habe mich wirklich wie in eine andere Welt transportiert gefühlt und habe dieses in mich gekehrt sein, von der Außenwelt abgeschottet sein und sich als Teil einer Gruppe bewegen als etwas sehr Absorbierendes empfunden. Nach Ende der Vorstellung habe ich noch einige Zeit benötigt, wieder in das hier und jetzt zurückzukehren. Das Kollektiv hat mir gezeigt, was trotz oder vielleicht sogar durch Beschränkungen alles möglich sein kann. Ein intelligentes, kreatives und vor allem sehr, sehr lustiges Stück!
Bild: © David Pujadas Bosch